Denkgewohnheiten ändern

 

Wie reagieren Sie, wenn Sie Verwandte bei sich zu Besuch haben, und die über die Unordnung in ihrer Wohnung meckern? Werden Sie ärgerlich und aggressiv und werfen ihnen ein "Ihr könnt ja wieder abhauen, wenn's euch nicht passt" an den Kopf? Oder fühlen sie sich schuldig, beschämt und eingeschüchtert, stammeln eine Entschuldigung und beginnen hastig aufzuräumen? Oder reagieren sie locker und sagen mit Schmunzeln: "Das ist halt mein Lebensstil; den müsst ihr mir schon lassen"? Möglicherweise haben Sie Bekannte, die auf verschiedene Weise auf diese Situation reagieren würden. Und die womöglich sagen: "Sowas macht mich sauer/ macht mich traurig/ macht mir Angst/ lässt mich kalt." Wenn es aber möglich ist, auf dieselbe Situation mit verschiedenen Gefühlen zu reagieren, dann kann es nicht die Situation allein sein, die das jeweilige Gefühl auslöst.

Die kognitive Therapie geht davon aus, dass es nicht die Dinge an sich sind, die uns depressiv, ängstlich, zwanghaft, verbittert oder aggressiv machen, sondern die Art und Weise, wie wir über die Dinge denken. Im ersten Fall mögen die automatisch ablaufenden Gedanken gewesen sein "Meine Verwandten sind unverschämt, wenn sie meine Wohnung kritisieren", im zweiten Fall "Es wäre meine Pflicht gewesen, in meiner Wohnung Ordnung zu halten", im dritten Fall "Wie es in meiner Wohnung aussieht, ist meine Sache." Hinter solchen automatisch ablaufenden Gedanken in bestimmten Situationen stehen situationsübergreifende Lebenseinstellungen. Im ersten Fall möglicherweise "Niemand darf mich kritisieren, sonst ist er mein Feind", im zweiten "Ich muss es den anderen immer rechtmachen, sonst bin ich kein guter Mensch", und im dritten "Solange es meine Privatsphäre betrifft, brauche ich mich um Kritik nicht zu kümmern".

Automatische Gedanken bewusst machen: In der Therapie geht es zunächst darum, automatischen Gedanken, die der seelischen Gesundheit abträglich sind, sowie den dahinterstehensden Lebenseinstellungen auf die Spur zu kommen. Denn oft glauben Menschen, die Dinge selbst würden sie unglücklich machen, und nicht die dabei ablaufenden automatischen Gedanken. Diese sind ihnen zunächst oft gar nicht bewusst. Die Musiktherapie eignet sich gut, um Gedanken und Lebenseinstellungen bewusst zu machen. Z.B. kann eine instrumentale (oder vokale) Improvisation zwischen Patient und Therapeut, bei der ein belastendes Ereignis oder ein belastendes Gefühl musikalisch dargestellt wird, sowie die anschließende Auswertung des Erklungenen im gemeinsamen Gespräch (u.U. mit Hilfe einer Tonaufnahme) Aufschluss geben über die hinter den Gefühlen stehenden Gedanken und Lebenseinstellungen. Ähnlich hilfreich kann es sein, dem Patienten eine Musik vorzuspielen, während dieser mit geschlossenen Augen zuhört und sich die belastende Situation vorstellt. Sind diese ungesunden Gedanken und Lebenseinstellungen schließlich "dingfest gemacht" worden, wird es im zweiten Schritt darum gehen, sie ins Wanken zu bringen und zu entkräften.

Automatische Gedanken in Frage stellen: Das kann in der Musiktherapie auf verschiedene Weise geschehen. Hat z.B. ein Patient einen Misserfolg erlebt und reagiert darauf mit dem automatischen Gedanken "Ich bin eben ein Versager" und deprimierten Gefühlen, kann er gemeinsam mit dem Therapeuten das belastende Erlebnis als "Filmmusik" darstellen, bei der es darum geht, nicht zu spielen, wie man sich gefühlt hat, sondern was ein Außenstehender beobachtet hätte. Auf diese Weise kann der Patient zu seinen Denkweisen Distanz gewinnen. Hält er sich z.B. für einen hoffnungslos ungeselligen Typen, weil er bei einem vorangegangenen Essen mit Bekannten wenig kommuniziert hat, kann er durch die Analyse der "Filmmusik" erkennen, dass weniger seine Persönlichkeit als äußere Umstände (ungünstiger Sitzplatz, undurchdringliches Stimmengewirr, für ihn uninteressante Gesprächsthemen u.a.) dafür verantwortlich waren, dass er sich wenig an den Gesprächen beteiligte. Ein anderer Effekt von Musiktherapie ist das Anrühren von Erinnerungen, die dem Gedanken zuwiderlaufen, im Fall des Gedankens "Ich bin ein Versager" Erinnerungen an vergangene Erfolgserlebnisse, oder beim Gedanken "Ich bin ein unsympathischer Mitmensch" Erinnerungen an soziale Situationen, in denen er sich wohlfühlte und positive Rückmeldungen durch die Umgebung erhielt. Ferner kann Musiktherapie eingefahrene Denkweisen auflockern, indem der Blick auf bisher nicht erkannte Alternativen und Möglichkeiten geöffnet wird. Und schließlich kann ein Patient beim Auswerten eines Klangergebnisses in der Gruppe die Erfahrung machen, dass Dinge auf verschiedene Weise gesehen werden können (z.B. wenn ein Patient, der glaubt, "zu schräg" zu spielen, die Rückmeldung erhält, dass Mitpatienten dies als befreiend erlebt haben).

"Innere Tyrannen" entmachten: Hinter automatischen Gedanken wie "Ich bin ein Versager", "Ich bin ein schlechter Mensch" u.a. stehen in der Regel absolutistische Lebenseinstellungen, sogenannte "Muss-Sätze", etwa: "Mir muss alles gelingen" oder "Ich muss es den anderen immer recht machen" o.a. Solche Lebenseinstellungen lassen sich u.a. entkräften, indem man ihnen gezielt zuwiderhandelt (v.a. dann, wenn der Patient a) die Absurdität seiner Einstellung vom Verstand her eigesehen hat, und er b) den Wunsch hat, diese zu ändern). So kann ein Patient mit der Einstellung "Ich darf nichts falsch machen" beim Musizieren rhythmisch aus der Reihe tanzen, in einer anderen Tonart spielen als die anderen o.a. Oder es kann jemand mit der Einstellung "Ich bin verpflichtet, immer für Harmonie zu sorgen" der Gruppe mit rauer Stimme ein aggressives Lied laut vorsingen. Jemand mit der Einstellung "Ich darf mich niemals blamieren" kann diese lockern, indem er z.B. mit alberner Stimme einen sinnlosen Text singt usw. Solche Übungen kosten natürlich Überwindung, können aber auch Spaß machen und u.U. als Vorbereitung auf entsprechende Übungen im Alltag fungieren.

Neue Lebenseinstellungen festigen: Oft tritt in der kognitiven Therapie das Problem des "Widerspruchs zwischen Kopf und Bauch" auf. D.h. die neue, gesündere Lebenseinstellung leuchtet dem Patienten zwar vom Verstand her ein, aber das Gefühl reagiert noch immer auf die alte Weise. Hier bietet es sich an, dass Patient und Therapeut gemeinsam Lieder erfinden, denn ein Lied verknüpft einen Text mit Musik. Die Musik des Liedes ist gewissermaßen das "Transportmittel" des Textinhaltes vom Verstand ins Gefühl. Der Text eines solchen Liedes kann z.B. einen oft wiederkehrenden automatischen Gedanken oder eine absolutistische Lebenseinstellung in der ersten Strophe aufgreifen, in den darauffolgenden Strophen in Frage stellen (unter Erwähnung konkreter Situationen) und in der letzten Strophe eine neue, reifere, großzügigere Lebenseinstellung formulieren (etwa so: "Du kannst nicht Kopfrechnen, na und? Zur Selbstverachtung gar kein Grund/ da spuckst du weder Gall' noch Gift/ da nimmst du halt Papier und Stift/ du kannst viel und bist liebenswert/ perfekt sein wollen ist verkehrt"; oder "Manchmal findet deine Mama deinen Lebensstil zwar schlecht/ doch ein selbstbestimmtes Leben führen ist dein gutes Recht"). Bei bestimmten Patienten mag sich auch das Erfinden humorvoller Lieder anbieten, um die "inneren Tyrannen" durch Ironie und Übertreibung zu entmachten (z.B. "Machst du manchmal Fehler, wie kannst du das nur tun? Was bist du doch  für ein verachtenswertes Huhn"). Eine andere Möglichkeit besteht darin, "innere Tyrannen" zu personifizieren, ihnen Namen zu geben, mit ihnen zu sprechen (z.B. "Ach, Hildebrand, halt bloß den Rand"), um Distanz zu ihnen zu gewinnen. Das sind nur einige von vielen verschiedenen Möglichkeiten; wichtig ist eine möglichst konkrete Zuschneidung des Textes auf Situation und Bedürfnisse des einzelnen Patienten. - Die Musik des Liedes (Melodie, Harmonik, Rhythmus, Sound, Stil) sollte unbedingt so sein, dass der Patient sie liebt, positive Assoziationen (Mut, Selbstvertrauen, Zwanglosigkeit) mit ihr verbindet und sich mit ihr identifizieren kann, so dass er das Gefühl hat "Ja, das ist mein Lied; ich stehe dahinter". In belastenden Alltagssituationen kann das entsprechende Lied als eine Art Stichwortgeber fungieren. Ausschlaggebend bei der Beschaffenheit eines jeweiligen Liedes sind die konkreten Bedürfnisse, Wünsche und Vorlieben des Patienten; der Therapeut bietet verschiedene Optionen lediglich an - und natürlich seine Hilfe.

 

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